Montag, 23. Februar 2015

Was gut gemeint ist, ist nicht immer gut: Freier Eintritt in Museen

"Der Eintritt soll in alle Museen der Stadt Graz frei sein!", fordert Kulturstadträtin Lisa Rücker in der lokalen Zeitung „Meine Woche“. Hintergrund ist der schon länger schwelende Streit, wie das Kunsthaus „bespielt“ werden soll, welche Ausstellungspolitik und -programmatik dort sinnvoll ist. Vom Zaun gebrochen hatte die Debatte der Grazer Bürgermeister und die Grüne Stadträtin versuchte die in Form einer vierteiligen Diskussionsveranstaltung im Kunsthaus in Bahnen zu lenken. Ohne dass eine Wirkung der Debatte auf das Programm des Kunsthauses erkennbar gewesen wäre (umgebaut wird sehr wohl und das Haus städtebaulich „geöffnet“), verlangten nun die Leiter des Joanneums (zu dem das Kunsthaus gehört), freien Eintritt, und zwar nur im Kunsthaus (und nicht in anderen Häusern des Joanneums). Zahlen solle die Stadt. Nun wissen auch die Leiter des Joanneums, daß die Stadt den freien Eintritt nicht kompensieren kann. So viel Geld hat sie nicht. Also kann man das als Schachzug sehen, Frau Rückers Ambitionen abzublocken. Und die muss nun reagieren.
Wer kann schon vernünftigerweise gegen einen sogenannten „niederschwelligen“ Zugang sein? Niemand. Aber, so sagt Rücker, dann klarerweise für alle Grazer Häuser, also alle Sammlungen des Joanneum und auch für das Stadtmuseum. Da müssten dann aber Stadt und Land zahlen. Und nicht gerade wenig, ich schätze, einen Millionenbetrag. Das scheint politisch noch weniger durchsetzbar. Damit ist Rücker aus dem Schneider, sie kann sagen, ich will ja, das ist vernünftig, geht aber nicht oder man lässt mich nicht. Ein übliches Spiel.

Jetzt mal von der Politik weg und zur Sache. Warum soll hier nicht gehen, was in London (das Beispiel bringt Rücker) geht. Na ja, ein tollkühner Vergleich. Eine Stadt mit vielen Millionen Bewohnern und Besuchern und riesigen, opulenten Museen dort und hier eine Mittelstadt mit 300.000 Besuchern und einem Museum, das nur dem Namen nach „universal“ ist.

Aber Rücker läßt sich erfreulicherweise auf Differenzierteres ein: „Es gibt im Bereich der Bildung einfach mehr Aspekte, als nur für den Arbeitsmarkt fit gemacht zu werden.“ Also ist es mit einem kostenlosen Zugang zu Kunst und Kultur, so Rücker, nicht getan: „Ein Gratis-Eintritt (den es für unter 18-Jährige gibt, Anm. GF) alleine ist noch lange nicht die Garantie, dass viele Menschen am Museum generell interessiert sind. Es braucht mehr: Es braucht bereits in der Schule entsprechende Ansätze und es muss in den Häusern selbst auf die Menschen zugegangen werden. Diejenigen, die einmal hingehen, sollen auch gerne wiederkommen.“

Einschlägige Forderungen nach „Niederschwelligkeit“ sind nicht neu, aber dabei wird ein ziemlich schwieriges Strukturmerkmal übersehen, über das man auch nicht so gerne redet. In Museen gehen überwiegend Menschen mit höchster und hoher (Schul)Bildung, ihnen würde der Gratiszugang in erster Linie zugutekommen und sich in (etwas) erhöhten Besuchszahlen niederschlagen. Die, die nie ins Museum gehen, durchschnittlich etwa 50% einer Bevölkerung, werden aber kaum durch den Preis abgehalten. Sie kommen nicht ins Museum, weil das, was es ist, was es repräsentiert, was es zeigt und erzählt, kaum bis nichts mit ihrer Lebenswirklichkeit zu tun hat. Es ist die große Gruppe derer, die auch wirtschaftlich und sozial vom Rest der Gesellschaft abgehängt oder in gewisser Weise von der Politik und der öffentlichen Aufmerksamkeit auch schon „aufgegeben“ wurden (diese 50% dürften in etwa deckungsgleich sein, mit denen, die zu keiner Wahl mehr gehen. Das heißt da steckt auch noch ein veritables politisches Problem drin).

Zuallererst also ist der Gratiseintritt (warum konsequenterweise nicht auch für Theater, Oper usw.?) eine versteckte Subvention für die nicht nur Gebildeten sondern auch wohlhabenderen Gruppen (zusätzlich zur Subvention, die ihnen jetzt schon gewährt wird, weil kein, nahezu kein Museum sich selbst erhalten kann und gefördert werden muß).

Was aber wichtiger ist, ist die Blindheit gegenüber dem soziokulturellen Phänomen der hegemonialen Funktion von Bildungseinrichtungen, auch des Museums. Ausgeschlossen werden Menschen nämlich, wie gesagt, zwar auch über den (Eintritts)Preis, aber vor allem dadurch, daß sie nie an jener bürgerlichen  Bildung partizipiert haben und auch nicht partizipieren wollten, die der Institution, ihren Paradigmen und Werten, ihren Riten und Normen zugrundeliegen. Museen halten aber trotzdem oder gerade deswegen an Werten fest, die nur vermeintlich für alle verbindlich sein sollen.

In der Forderung nach „Niederschnelligkeit“ scheint ein Verständnis für sozial indizierte Ungleichheit im kulturellen Feld aufzuleben. Aber indem man das Problem nicht einmal halb analysiert und versteht, erreicht man eher das Gegenteil dessen, was man vorgibt zu tun: man vertieft die Kluft zwischen Gebildeten und davon Ausgeschlossenen. Und: indem man die herrschenden kulturellen Werte "leichter zugänglich" macht, verstärkt man auch derenb Wirkung. Anders gesagt: Der Gratiseintritt ist selber eine hegemoniale Strategie.

Rücker zeigt für die Widersprüchlichkeit der Forderung nach Gratiseintritt Sensibilität, wenn Sie die Schulen in die Pflicht nimmt. Schon richtig, in Familie und Schule werden Chancen generiert und gewissermaßen verteilt. Die Schulen scheinen mir aber überfordert mit dem extrem anspruchsvollen Programm (das es sein müsste), über sehr spezialisierte Massnahmen etwas zu kompensieren, was sie selbst insgesamt als Institution erzeugen. Gerade in Österreich sind Schulen mächtige gesellschaftspolitische Werkzeuge, mit denen soziale Ungleichheit aufrechterhalten wird, und die Gesellschaft wenig Durchlässig macht zwischen den sozialen Gruppen. Wieso also soll gerade die Schule für etwas die Lösung bereitstellen (wollen), wenn es, wie der heftige Widerstand gegen eine Reform der Schulen zeigt, geradezu erwünscht ist, daß die Schulen ihre negative sozialisierende Funktion weiter beibehalten sollen?

Also bleiben die Museen übrig, die Rücker diesbezüglich auch in die Pflicht nehmen will. Es geht ja wirklich nicht nur um die FRage, ob sich (mehr) Menschen für das Museum interessieren, sondern umgekehrt darum, ob und wie sich Museen für Menschen interessieren. Im Prinzip gilt für sie dasselbe, wie für die Schulen. Sie müssten eine gesellschaftspolitische Kehrtwende machen, und sich Themen zuwenden, mit der sie Brücken schlagen zu Gruppen, die völlig abseits des kulturellen Mainstreams stehen. Das werden die Museen nicht tun. Und sie werden es nicht können. Denn dazu müsste man auch neuartige Formen der Vermittlung entwickeln (unter der Prämisse, dass Museen immer selbst Vermittlung sind. Ich meine also nicht nur die spezialisierte- inzwischen verberuflichte berufliche - Vermittlertätigkeit). Es ginge darum Partizipation im weitesten Sinn zu ermöglichen, inklusive Projekte zu entwickeln, die riskant, schwierig, anspruchsvoll zu managen sein würden und mit denen außerdem das bisherige Selbstverständnis des Museums und seiner Aufgaben weit überschritten würde.

Hoffnungslos? Na ja, ich denke - sehr provisorisch und jenseits politischer Machbarkeit und Durchsetzbarkeit, von der ich mich als Blogger ohnehin kilometerweit entfernt sehe -, an Folgendes: statt Geld in freien Eintritt zu investieren, sollte man dieses Geld plus Teile der jeweiligen Museumsbudgets (die den Museen gewissermaßen enteignet werden müssten, aber nicht im staatlichen Sparinteresse, sondern im Interesse der Vertiefung der gesellschaftlichen Bedeutung der Institution) in die Hand nehmen und Projekte (international) ausschreiben. Mit einem Rahmenprogramm, das grob gesagt das Ziel verfolgt, die schwammig und verunklärend „bildungsfernen“ Gruppen ganz gezielt anzusprechen und einzubeziehen. Das aber weder um den „Besucherumsatz“ zu erhöhen ,also die „Quoten“, noch um scheinparzipative Geschäftigkeit zu produzieren. Sondern um ernsthaft neue Formen und Inhalte kultureller Arbeit zu entwickeln, in denen die besonderen Qualitäten, die das Museum von anderen Orten und Plätzen unterscheidet (Oper, Theater, Film usw.) erhalten bleiben und genutzt werden. Selbstredend dürfte ein solches Unternehmen weder direkt von der (lokalen) Politik gesteuert werden, noch aus den jeweiligen Häusern heraus. Sondern z.B. von einem internationalen Beirat mit transdisziplinärer und sehr hoher Kompetenz.


Ist bloß so eine Idee. Wenn jemand eine bessere hat - her damit!
 

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