Samstag, 19. Januar 2013

Das Barbarische der Museen (Das Museum lesen 31)


"Man braucht nur irgendeinen Ort zu betreten, an dem Meisterwerke in großer Zahl zusammengebracht wurden, um diese Art Museumskrankheit zu erfahren, ähnlich der Übelkeit, die einem im Gebirge überkommt, aus Schwindel und Atemnot, dem jedes Glück des Sehens und jeder Wunsch, sich berühren zu lassen, sehr schnell zum. Opfer fallen. Zugegeben, im ersten Augenblick, welche Erschütterung, welche physische Gewißheit einer gebieterischen Präsenz,· einmalig, obgleich endlos vervielfältigt. Die Malerei ist wahrhaft da, leibhaftig, (en personne). Aber es ist eine Person, so sicher ihrer selbst, so zufrieden mit ihrem Nimbus und ihrem Gepränge, die sich durch einen solchen Willen zum Schauspiel imponiert und exponiert, daß sie, verwandelt in eine Theaterkönigin, uns unsererseits in Zuschauer verwandelt, sehr leidenschaftliche, dann ein wenig verstörte und dann ein wenig angeödete. Ganz offensichtlich hat das Gewöhnliche der Museen etwas unerträglich Barbarisches an sich. Wie konnte man es soweit kommen lassen? Wie hat sich die einsiedlerische, ausschließende, einem geheimen Punkt, den sie uns kaum bezeichnet, entschieden zugewandte Bejahungen jedem gemalten Bild auf diese spektakelhafte Vergemeinschaftung, diese lärmende und vornehm tuende Zusammenkunft die man eben Kunstschau (salon) nennt, eingelassen? Die Bibliotheken haben auch ich weiß nicht was an Überraschendem, aber zumindest zwingt man uns nicht, all die Bücher zugleich zu lesen (noch nicht). Warum haben die künstlerischen Werke diese enzyklopädische Ambition, die sie veranlaßt, um gemeinsam gesehen zu werden, zusammen unter einen so allgemeinen, so konfusen und so schwachen Blick verfügt zu werden, daß daraus offensichtlich nur die Zerstörung jeder wahren Kommunikationsbeziehung folgen kann?"

Aus: Maurice Blanchot: Museumskrankheit (1950)


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