Montag, 17. Mai 2010

James Cook, die Südsee und wir im Museum

Als Kaiser Karl V. aus der Eroberung Amerikas stammende Objekte in Brüssel ausstellen ließ, war einer der Bewunderer Albrecht Dürer, der dem, was er sah – „so viel schöner anzusehen dann Wunderding“ -, Bewunderung entgegenbrachte und ihren Schöpfern Respekt als “subtilen Ingenia der Menschen in frembden Landen“.
Der Schock, der von der Fremdartigkeit des Nie-Gesehenen ausging, schlägt sich in der Suche nach einer geeigneten Sprache zur Bezeichnung der Dinge und ihrer Erfahrung nieder und in ihrer Ästhetisierung.
Wahrscheinlich wird es vielen Besuchern, die die im Wiener Völkerkundemuseum laufende Ausstellung „James Cook und die Entdeckung der Südsee“ besuchen, noch immer ähnlich gehen. Auch sie werden mit etwas konfrontiert, was einen weiten Zeitraum und eine große zeitliche Entfernung in jener eiegntümlichen Dialektik überbrückt, die Walter Benjamin mit den Metaphern „Spur“ und „Aura“ zu fassen versuchte. Mit dieser Dialektik zu arbeiten, das ist eine der besonderen und eigentümlichen Möglichkeiten des Museums.

Was Besucher in der Ausstellung zu sehen bekommen, ist weit weniger James Cook selbst (seine Person, sein Wirken als Seefahrer und Kartograph), denn die „Wunderding aus frembden Landen“. Jedenfalls ist es mir so gegangen. Nachdem der Pflichtteil der historischen Intrada (ich komme drauf zurück) hinter mir lag, schlugen mich rasch die wunderbaren Dinge in ihren Bann, die vielen Objekte, die die Kulturen bezeugen, mit denen man damals, vor über 200 Jahren, in Berührung kam und die nun in den vielen Schausälen des Museums ausgebreitet vor uns liegen liegen.
Werkzeuge, Geräte, Kleidung, Musikinstrumente, Schmuck, Kopfbedeckungen... Das meiste aus pflanzlichem Material gemacht, aus Vogelfedern, aus Haaren oder Knochen von Tieren, aus Muscheln und Schneckenhäusern, aus Holz, weniges aus Stein. Welch ein kunstvolles Ding kann ein Fliegenwedel sein, noch dazu, wenn seine feinen Perlmuttstückchen auch noch Klang erzeugen. Paddel sind nicht einfach plumpe Holzstücke, sondern elegant geformt und am Übergang zum verbreiterten Teil kunstvoll verziert. Kämme waren in Neuseeland offenbar ein Männerschmuck, aus Walknochen, hoch ins Haar gesteckt, waren sie auch ein Zeichen einer Würde, wenn ihr Träger nicht einfach nur Federn im geknoteten Haar stecken hatte. Angelhaken für den Haifischfang waren aufwendig und geduldig erzeugte, mehrteilige, grausam aussehende Werkzeuge; mit ausgehöhlten Kokosnüssen ließ sich Fruchtbrei herstellen, aus einem Kürbis ein tragbares Gefäß. Um bei der Arbeit nicht von der Sonne geblendet zu werden, flochten sich Frauen trapezförmige Schirmchen, deren schmälere Seite von einem Ring gebildet wird, den man auf den Kopf ziehen konnte. Eine Steinschleuder aus Pflanzenfasern ist ebenso kunstvoll, wie die Umhängetasche, in der man die ‚Munition’ (die Steine) mit sich trug.
Es sind zauberhafte Dinge, einfach, zweckmäßig, kunstvoll, aus schlichten Materialien, die man in manchmal sehr aufwendigen Verfahren verarbeitete, z.B. breitgeklopfte Fasern zu großen Kleidungsstücken. So ‚schön’ und ‚naturnah’ die Dinge erscheinen, ein romantisierendes Bild der Südsee bedienen sie nicht, das tun eher manche Bilddarstellungen der Expeditionsteilnehmer, die oft vor Ort, ebenso oft aber nach Skizzen und Notizen und sehr viel später entstanden oder sich völlig vom Gesehenen und Erreigneten entfernen konnten, wie etwa Johann Zoffanys Bild, das Cooks Tod als antike Tragödie erzählt.
‚Südsee-Romantisch’ kann der Eindruck auch deshalb nicht werden, weil die Objekte unprätentiös ausggestellt und knapp kommentiert werden, kontextualisiert von der wissenschaftlichen Tätigkeit der (ersten beiden) Expeditionen und der seefahrerischen Meisterleistung dreier welterweiternden Reisen.

Der Logistik dieser Reisen ist ein Teil der Ausstellung gewidmet. Während mir aufgeklappte Bücher, Fernrohre oder komplizierte Messinstrumente in Vitrinen herzlich wenig sagen, waren die multimedialen Informatione so hilfreich, mir immerhin das Gefühl zu vermitteln, als hätte ich (endlich) verstanden, wie man sich denn (zu jener Zeit) auf einem weiten leeren Meer ziemlich exakt orientieren und verorten konnte. Daß es schon so etwas wie Maggi-Würfel gab, Trockensuppe, die im Museum nicht grade appetitlich oder gesundheitsfördernd aussieht, und manch andere erstaunliche ‚Ergänzungsnahrung’, die erfolgreich typischen Mangelerkrankungen der Seefahrt vorbeugte, beeindruckte mich. Wenig, zu wenig erfährt man über die Interessen der Auftraggeber, über die mittel- und langfristigen Effekte der kolonisierenden Landnahme. Daß ein Mitglied der Expedition die erste Kolonie Strafgefangener in Australien gründete, habe ich in einer Zeitungsrezension erfahren, vielleicht in der Ausstellung überlesen. Daß die Bewohner grade der australischen Küsten wünschten, daß die Eurpäer rasch wieder verschwinden, wie Cook selbst notierte, hat die – wie wir wissen – bis heute nachwirkende Kolonisierung Australiens und die Beinahe-Ausrottung eines ganzen Kontinents nicht verhindert.
Stattdessen beschäftigt man sich mit dem zur damaligen Zeit auch durch Cooks Expeditionen erzeugten Südsee-Bild, das - zusammen mit Reiseberichten - viele dauerhafte Klischees erzeugte. Dankenswerterweise wird bei den meisten Gemälden und Zeichnungen angegeben, unter welchen Umständen das Bild entstand, ob vor Ort oder am Schiff oder womöglich Jahre später in London... Man hat so eine gewisse Chance, die Authentizität der Darstellung selbst abzuschätzen, aber die Komplexität der Beziehung, die da entstand, kann man so nicht einmal erahnen.
Welche Wechselbeziehung zwischen europäischem Vorurteil, Erfahrungen vor Ort und Nachwirkung in Gang gesetzt wurde, das kann man staunend zur Kenntnis nehmen, wenn man das Buch zur Hand nimmt, das der Teilnehmer der zweiten Expedition, Georg Forster verfasste. (A voyage round the worlds; 1777). Sein Text vermittelt einen durch und durch ebenso offenen, neugierigen wie anerkennenden Blick auf das Neue, vor allem auf die Menschen, die er trifft und kennenlernt. Alles was von der mitgebrachten Erfahrung abwich (und oft hart und tödlich von den Seefahrern bestraft wurde), sucht er vor dem Hintergrund seiner protodemokratischen Gesellschaftstheorie und einem aufgeklärten, egalitären Menschenbild zu verstehen und zu würdigen. (Forster war einer der konsequentesten Sympathisanten der Französischen Revolution, ein führender Kopf der kurzlebigen Mainzer Republik und deren Deputierter der Nationalversammlung in Paris). Selbst den - heute bezweifelten - Kannibalismus, auf den man zu treffen glaubte, suchte er zu verstehen und nicht zu verurteilen.

Der europäische Blick, die europäischen Interessen können sich repräsentieren. In Texten, Dokumenten, Büchern, Seekarten, Bildern. Dazu gibt es kein Äquivalent bei den ‚entdeckten’ Völkern. Ohne Schriftkultur bleiben nur ihre mehr oder weniger zufällig in europäische Museen gelangten Objekte als – sehr relative,  aber ja nie auf Dokumentation angelegte – Artikulationsmöglichkeiten. Nicht mal ein Dutzend von Zeichnungen, offenbar unter dem Einfluß europäischer entstanden, mögen kostbar und selten sein, die überragende Macht der eurozentristischen Repräsentation tangieren sie natürlich nicht.
Statt Nostalgie stellt sich im Ausstellungsraum eher Melancholie (als museumstypische Verstimmung) ein, denn wir werden mit Überlebseln verschiedenster Bevölkerungsgruppen konfrontiert, deren Relikte in – überwiegend europäischen – Museen überdauert haben, während ihre Erzeuger und Nutzer samt ihren Kulturen größtenteils untergegangen sind. Manche unmittelbar auf Grund ihrer ‚Entdeckung’, manche mit Zeitverzögerung aber indirekt ebenfalls durch die Kolonisierung. Mehr als 3000 Kilometer australischer Küste kartierte Cook und „nahm sie für die britische Krone in Besitz“ (Ausstellungstext). Das war einfach. Ein einseitiger „Rechtsakt“ genügte, wo es nötig war, durchgesetzt mit Gewehren, Pistolen und Schiffskanonen. Diese Waffen stellten eine Überlegenheit her, die jede zahlenmäßige der ‚Entdeckten’ zunichte machten.

Dürers Besuch der ausgestellten „Wunderding“, den ich eingangs erwähnte, interpretiert Stephen Greenblatt als Indiz eines ästhetischen Verstehens, das sich von einer bloßen Artikulation der Beziehung zu Macht und Reichtum zu emanzipieren beginnt. Ästhetisches Verstehen beruht für ihn generell auf der Abstraktion von Macht und Gewaltförmigkeit als Bedingungen des Erwerbs und Genusses (kulturellen) Reichtums. (Stephen Greenblatt: Resonanz und Staunen, in: ders.: Schmutzige Riten. Frankfurt 1991, S.224f.). Ich denke, man kann diese Überlegung auf die Ausstellung übertragen. Indem man Greenblatts These auf den Kopf stellt. Der ästhetische Genuss bringt dessen geschichtlichen und sozialen Bedingungen zum verschwinden. Er macht durch Ästhetisierung historische Ereignisse, mögen sie noch so katastrophisch verlaufen sein, angenehm konsumierbar, in einer wunderbaren, schönen Ausstellung, in der man kaum behelligt wird von zuviel analytischem Beiwerk.

Die Schau als Biografie eines Eroberers zu erzählen, der Cook symbolisch (bis heute) und materiell war, stellvertretend für eine europäische Großmacht, heißt, den Blick der Eroberung noch einmal aufzunehmen.  (Die Engländer hatten seit dem 16. Jh. einen Komplex, weil sie nichts richtiges entdeckt hatten; sie hatten nur Piraten. Dann kam endlich James Cook, den konnte man jetzt zumgrössetn Seefahrer aller Zeiten erklären, wie ihn eine Weltmacht brauchte. Leserbrief – in Originalortografie - zu einer Ausstellungsrezension). Der erste Blick im ersten Raum muß auf das großformatige Porträt Cooks fallen – es ist in der Raumachse, der Eingangstür gegenüber angebracht  -, das ihn mit einer seiner Seekarten zeigt auf die er mit besitzergreifender Geste weist.
Cook eignet sich für eine auf ihn bezogene Erzählweise, weil er, wie die Ausstellung uns sagt, im Kontext europäischer Aufklärung und der Wissenschaft verpflichtet, um einen von Respekt getragenen Umgang mit den ‚Einheimischen’ bemüht gewesen sein soll. Im allerersten Ausstellungstext wird er uns zudem als Aufsteiger aus ärmlichsten Verhältnissen – Sohn eines Taglöhners -, vorgestellt, der es dann zum berühmten Seefahrer, Entdecker, Kartografen gebracht hat, der unser Wissen um die Welt so unendlich erweitert hat und aus dem in einer Aufsteigergeschichte „ein Held der europäischen Besitznahme der Welt“ werden durfte, dessen Auftrag hinter der Wendung „geopolitische Interessen“ (Ausstellungstext) versteckt wird.
Schließlich ist die Kultur der polynesischen Inseln im rituellen Kanon musealer Aufmerksamkeit gegenüber der griechischen und römischen Antike,  der ägyptischen Hochkultur oder denen Altamerikas eindeutig deklassiert. Cook ist also auch ein Vorwand, um eine Kultur zu zeigen, deren "...objects in international museums have never been studied or published or visited...". (Jenny Newell)
Cook ist überdies so geeignet als Zentrum der gesamten Erzählung, weil er auch ein Opfer ist. Auf seiner dritten Reise wurde er unter Umständen getötet, für die es mehrere Versionen gibt. Ob es nun eine Identifizierung als Teil einer Zeremonie war, die die Einheimischen vornahmen oder einer jener Gewaltakte der Eindringlinge, der diesmla nicht wie so oft glimpflich verlief, Cook wurde - in den Augen seiner Auftraggeber - sofort zum Opfer von 'Unzivilisertheit' und 'Wildheit', die man den entdeckten Völkern zuschrieb und mit ihr die Eroberungen und Entdeckungen legitimierte.
Die Ausstellung strengt sich nicht besonders an, diese Erzähl- und Deutungsstruktur zu relativieren.
Cooks, von einigen näher vorgestellten Wissenschaftern und Künstlern unterstützte Welterweiterung und aufklärende Wissenserweiterung bildet die zentrale Legitimation um noch einmal die Geschichte der drei legendären Reisen zu erzählen, aber damit auch noch einmal in eurozentristischer Perspektive und wieder einmal unter weitgehender Ausblendung der Gewaltförmigkeit des Unternehmens selbst aber auch der des wissenschaftlichen Zugriffs auf das Fremde und die Fremden.
Dabei hätte die Ambivalenz dieses Unternehmens, als von Annektion, Unterwerfung, Beherrschung wie von wissenschaftlicher Neugier motiviert, genügend Gelegenheit geboten, das Museum einmal nicht nur metaphorisch als „Schule des Befremdens“ zu gebrauchen, sondern als Ort, an dem Fremdheit auch erst hergestellt wird, unter einem inszenierten Blick und einem formierten Interesse.
Sind nicht damals für uns immer noch ent-scheidende Bilder des Eigenen und Fremden entstanden, Strategien der Exotisierung und Distanzierung und der ent-fremdenden Aneignung? Hätte man, wenn man schon den aus jenen Jahren stammenden Begriff „Ethnologie“ kurz problematisiert, nicht mehr zur Wissenschaftsgeschichte machen können, oder zur Sammlungsgeschichte? Ein paar Objekte gibt es dazu, einige ‚außer Katalog’, als sei da jemandem im letzten Augenblick etwas ein- oder aufgefallen. Aber die Chance auf eine selbstreflexive Thematisierung der Bedingung der Ausstellung wird nicht wirklich versucht.
Da liegt in einer großen, technisch aufwenigen Vitrine ein großes Stoffstück, das trotz seiner konservatorischen Fragilität überdauert hat. Mitten auf den Stoff wurde ein Zettel befestigt, der offenbar inventarische Angaben enthält (es gibt mehrerer solcher Objekte in der Ausstellung). Hätte man nicht über die Würdigung der handwerklichen und ästhetischen Qualitäten des Objekts nicht auch dessen symptomatisches Exponaten-Dasein thematisieren können. Seine Transformation in den verschiedenen Etappen der Aneignung -  Tausch, Gabe (die Ausstellung vermittelt den Eindruck, als wäre alles freiwillig den Europäern übermittelt worden) -, Erfassung und Systemisierung durch die Expedition schon vor Ort (Listen, Tabellen, Zeichnungen etc., wie man sie in der Ausstellung sehen kann), Existenz in einer europäischen Sammlung oder Schaustellung, Funktion als ethnographisches Objekt der Wissenschaft oder des Museums...?
Das hätte helfen können, unseren heutigen Blick etwas auf Distanz zu bringen, zu differenzieren, etwas von der Komplexität und Fragilität des musealen Blicks wenigstens zu ahnen. Aber auf solche Feingriffe kommen Museen leider nicht, zumindest nicht in diesem Fall, es scheint eher um eine grobgestrickte ‚Sehenswürdigkeit’ zu gehen, um schnelles, einfaches Sehen und Bewundern.
Den Folgen der Cook'schen Expeditionen schenkt die Ausstellung bemerkenswert wenig Beachtung. Das gilt auch für den Katalog. Die jüngere Geschichte der Region, die Bemühungen um Widergewinnung ihrer Geschichte, die Rolle eigener Sammlungen und Museen werden, so weit ich sehe, überhaupt nicht thematisisert.
Cook war sich der Konsequenzen der europäischen Intervention bewußt und hatte eine klare Vorstellung davon, daß sich die Existenz der Völker, mit denenen man in Kontakt kam, dramatisch verändern würde. Noch radikaler als er hat Georg Forster den durch die Reisen ausgelösten Kulturschock, den man auslöste beschrieben und hellsichtig die katastrophische Zukunft beschrieben: „Es ist Unglücks genug, dass alle unsre Entdeckungen so viel unschuldigen Menschen haben das Leben kosten müssen. So hart das für die kleinen ungesitteten Völkerschaften seyn mag, welche von den Europäern aufgesucht worden sind, so ists doch wahrlich nur eine Kleinigkeit im Vergleich mit dem unersetzlichen Schaden, den ihnen diese durch den Umsturz ihrer sittlichen Grundsätze zugefügt haben.“

Die Ausstellung James Cook und die Entdeckung der Südsee ist im Museum für Völkerkunde in Wien noch bis 13. September 2010 zu sehen, vom 7. Oktober bis 2010 bis 13. Februar 2011 im Historischen Museum Bern.

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