Freitag, 29. Januar 2010

Weisse Kopfjagd. Die Naga-Vitrine in der „Götterbilder“-Ausstellung im Museum für Völkerkunde in Wien

Vorbemerkung: Das Völkerkundemuseum in Wien hat seine Dauerausstellungen vor längerer Zeit abgebaut, aber wies scheint, kann aus Geldmangel die neue Dauerausstellung nicht in Angriff genommen werden. Wer das Museum derzeit besucht, findet die jeweiligen Sonderausstellungen vor und eine 2009 eröffnete Ausstellung, die als ein Art ‚Preview‘ verstanden werden kann, als Auftakt oder Probe, als erste Etappe für die geplanten Sammlungsausstellungen. „Götterbilder“ ist den Religionen Süd- und Südostasiens sowie denen der Himalayländer gewidmet.
Wann es zur Errichtung der neuen Dauerausstellung kommen wird, ist inzwischen noch unklarer geworden. Es wird an einem Konzept zur Zusammenlegung mit dem Volkskundemuseum gearbeitet, was wohl weit reichende Auswirkungen auf die Präsentation der Bestände des Museums für Völkerkunde haben dürfte.
Der folgende Text beschäftigt sich mit einer einzigen Vitrine, einer die den Naga gewidmet ist. Zur Ausstellung insgesamt habe ich an anderer Stelle einen Text veröffentlicht.

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Der Typ des Völkerkundemuseums entsteht im europäischen Kolonialismus des 19. Jahrhunderts. Kolonialmuseen, Handelsmuseen, Orientmuseen oder wie sie sonst noch anfangs heißen konnten, hatten es einerseits mit praktisch-ökonomischen andrerseits mit ideologischen Zwecken zu tun. Immer ging es dabei um die Darstellung der Überlegenheit der europäischen über andere Kulturen und um die Rechtfertigung, diese Überlegenheit wirtschaftlich und kulturell auszubeuten. Die Sammlungen einschlägiger Museen speisten sich aus Raub, Enteignung und selbst dort, wo sie durch freiwillige Gaben, Schenkung oder Kauf vermehrt wurden, war es aufgrund politischer und militärischer Überlegenheit selten ein gerechter Tausch. Völkerkundemuseen waren und sind vielfach noch immer hegemoniale Projekte, die eine europäische Sichtweise auf unterlegen und unterentwickelt geglaubt und dargestellte Ethnien durchsetzten. Dabei wurde der ‚Autor’ dieses Prozesses immer ausgeklammert. Der Autor, der über die Erzählstrategien und Repräsentationsweisen ebenso entschied, wie über die Bedeutungszuweisung und den spezifischen Blick, den man auf den ‚Anderen’ warf.

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Dass eine Trophäe gezeigt wird, ein mit Gegenständen kombinierter Totenschädel, ist erstaunlich. Warum macht ein Museum im Jahr 2009 so etwas noch, trotz aller museologischen, ethischen und rechtlichen Debatten, die seit langem zum Umgang von Museen mit menschlichen Körpern, Skeletten, Mumien usw. geführt werden? Die Überraschung über dieses Ausstellungs’objekt‘ war der Ausgangspunkt meines Interesses.
Die Vitrine ist den Naga gewidmet, einer – sehr vereinfacht gesagt – Gruppe von Stämmen, die im Nordosten Indiens lebten und die das Interesse der Ethnologie vor allem durch die von ihnen praktizierte Kopfjagd erweckten.
Die teilweise symmetrisch bestückte Vitrine zeigt links Objekte, die sich auf die Kopfjagd und darauf bezogene Handwerkskunst und sogenannte Ritualgegenstände beziehen. (Zeremonialkorb, Zeremonialdao – ein ‚Dao’ ist, wie man nachlesen kann, eine Art ‚Universalwerkzeug’ -, Zeremonialhut, Ahnenfigur, ein Acryl-Bild eines Naga-Paares, Zeremonialspeer, Kopftrophäe). Im rechten Teil der Vitrine werden – wie in der linken - acht Objekte gezeigt: eine aufgeschlagene Kinderbibel, eine weitere Bibel, ein Kreuz, ein Priestergewand (Kasel), eine Stola, ein Foto mit Papst Benedikt XVI. und dem Naga-Bischof Jose Mukala, und, in beabsichtigter Symmetrie zu zwei Ahnenfiguren links, je eine Gips-Statue von Christus und Maria. Also ausnahmslos Gegenstände die auf die christlich-baptistische Religion verweisen, die heute von der überwiegenden Mehrzahl der Bevölkerung praktiziert wird.

Die Anordnung von links / vorher und rechts / nachher lesen wir wie selbstverständlich als Erzählung und Entwicklung. Grob zusammengefasst kann man das so sagen: die köpfjägerischen Naga sind durch Christianisierung Teil der zivilen Völkergemeinschaft geworden.
Diese Lesart wird unterstrichen vom Text in der Vitrine, der die unterschwellige Kontinuität zwischen beiden kulturellen Formationen und Zeiten in einer Art sublimierter Fortwirkung der – als Opferkult - gedeuteten – Kopfjagd in der durch ihr – unblutiges – Opfer ausgezeichneten christlichen Religion. Das legt die Deutung einer zivilisatorischen Transformation nahe, die durch eine Christianisierung glücklich bewirkt wurde. Das ganze komplexe Spiel der modernen Identifizierung der Naga, die zwischen Adaption und Widerstand, Traditionsbewusst sein und materieller Modernisierung oszilliert, sowie Kampf um politische Unabhängigkeit bleibt weitgehend ausgeklammert. Vor allem aber der zweifellos selbst kolonisierende Prozess der religiösen ‚Bekehrung‘. Der Kurator der Ausstellung, Christian Schickelgruber, schreibt unmißverständlich im Begleitbuch, daß Britische Kolonisierung und die von den USA ausgehende Missionierung, der „eigenständigen kulturellen Identität der Naga ein jähes Ende“ bereitet hätten.

Im Brennpunkt des rechten Teils der Vitrine kann man das Bild sehen, auf dem zu sehen ist, wie ein Naga-Bischof dem Papst ein traditionelles Tuch um die Schulter legt. Da wird nicht nur die harmonische religiöse Assimilation beschworen, sondern eine Art Eingemeindung in eine christliche Weltgemeinschaft, in der die einst Wilden, befriedet und zufrieden, eingekehrt sind.

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Vor der Vitrine rätselte ich, warum im Kontext der Ausstellung, neben Buddhismus und Hinduismus, also zwischen den großen Religionen, ausgerechnet die Naga auftauchen. Ich dachte, dass es sich um eine besondere Sammlung des Museums handeln müsste – und genauso ist es.
Dass das Wiener Völkerkunde-museum eine singuläre Sammlung von einst den Naga gehörenden Dingen besitzt, versteht man nur vor dem politisch-ideologischen Hintergrund der NS-Zeit und der Protegierung des Sammlers durch die Britische Kolonialmacht und den – man kann’s nicht anders sagen - kopfjägerischen Strategien und Interessen der Ethnologie dieser Zeit.

Der Sammler, dem das Museum seine besondere Naga-Kollektion verdankt, Christoph von Fürer-Haimendorf, wird in der Literatur eher als Reiseschrift-steller, denn als Ethnologe eingestuft. Als solcher ordnete er sich zunächst sowohl der NS-Politik und Ideologie als auch den Interessen des britischen Kolonialismus so unter, dass er ‚erfolgreich’ das Naga-Gebiet ‚ethnologisch’ bereisen konnte. Er war illegales NSDAP-Mitglied und ab 1936 Dozent am Institut für Völkerkunde, „wo er nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland im März 1938 eine wesentliche Stütze von Sturmbannführer Christian war und mit der Neuorganisation des Instituts unter den Rahmenbedingungen der Hitler-Diktatur betraut wurde.“ (Christian Schicklgruber: Christoph von Fürer-Haimendorf - Sammler und Chronist der Naga zwischen den Fronten, in: Michael Oppitz u.a. (g.): Naga Identitäten. Zeitenwende einer Lokalkultur im Nordosten Indiens. Gent 2008, S.356).
1936/37 hielt sich Haimendorf dreizehn Monate im Gebiet der Naga auf, wo er unter der Protektion und dem militärischen Schutz der britischen Kolonialmacht ‚sammeln’ konnte. Gut dokumentiert, auch mit Fotografien sowie mit von Haimendorf herrührenden Textquellen, ist eine Strafexpedition gegen das Dorf Panghsa, das von den britischen Truppen niedergebrannt wurde, nachdem zuvor Haimendorf, der „weisse Kopfjäger“, wie er sich selbst nannte, „manches Objekt für europäische museale Sammlungen vor dem Feuer retten“ konnte (C. Schicklgruber, wie oben, S.358). Die Dokumente lassen eigentlich keine Zweifel, daß es sich nicht um Sammeln sondern um Raub handelt.

Für die Ethnologie und die Museen jener Zeit war offensichtlich die ‚attraktivste’ Eigenheit der Naga ihre Kopfjagd. Es spricht aber viel dafür, dass es gerade die koloniale Verwaltung war, deren Verbot der Kopfjagd und das Interesse der Ethnologen, das diese erst recht anheizte und gewissermaßen ‚auflud’. „Ähnlich wie im Falle der ‚Skalps’ oder der ‚Schrumpfköpfe’ gilt auch hier: Was in Europa oft mit Schauer als Zeichen blutrünstiger Primitivität wahrgenommen wurde und damit die eigene europäische Überlegenheit und die Notwendigkeit des kolonialen „Zivilisationsprozesses“ unterstreichen konnte, das war so erst durch die europäische Kolonialpräsenz verstärkt hervorgerufen, verändert und weiter verbreitet worden.“ (Andre Gingrich: Gebrochene Kontexte einer prekären Ethnographie: Einführende Überlegungen zum Frühwerk von Christopf Fürer-Haimendorf, in: Hilde Schäffler: Begehrte Köpfe. Christoph Fürer-Haimendorfs Feldforschung im Nagaland (Nordostindien) der 30er Jahre. Wien 2006).

Die Präsentation der Naga in der Vitrine spart diese – hier aus Platzgründen verkürzt widergegebene - Wechselbeziehung von ethnologischem Interesse, kolonialer Politik und europäischem Begehren aus.

1939 veröffentlichte Haimendorf, der offenbar von beiden Herrschaftssystemen, Nationalsozialismus und Britische Kolonialmacht, geschickt profitierte, seinen ‚Reisebericht’, Die nackten Nagas, und im selben Jahr wurde seine Sammlung im Völkerkundemuseum in Wien ausgestellt. Zu all diesen politi-schen und ideologischen Bedingungen des Zustandekommens der Sammlung fällt kein Wort in der Ausstellung (und auch wenig im begleitenden Publikumskatalog), stattdessen finden wir – wie ein Motto – in der Vitrine ein komplett irreführendes wörtliches Zitat des Sammlers und Ethnologen Fürer-Haimendorf, aus dessen erwähntem Buch von 1939, das dessen Interessen und Sichtweisen als selbstkritisch unterfüttert darstellt, ganz konträr zu seiner tatsächlichen ethnologischen Praxis.

Die Versuchung ist groß, die Nagas als kühnes Kriegsvolk darzustellen und alles Licht auf Kopfjagd, Menschenopfer und andere aufregende Sitten zu werfen. Das Ungewöhnliche reizt ja stets besonders, und gerade die Völkerkunde hat noch nicht lange aufgehört, sich vor allem mit dem Absonderlichen und kuriosen in exotischen Kulturen zu beschäftigen. Doch wollten wir diesem Drang nachgeben und den Naga nur als den von den Leidenschaften nach Ruhm und menschlichen Köpfen besessenen Krieger schildern, so würde unser Bilde mit der Wirklichkeit wenig gemeinsames haben. Der Naga ist in erster Linie Ackerbauer. Neun Zehntel seiner Gedanken und seiner Arbeitskraft gelten seinen Feldern.

Aber alle Objekte in der Vitrine haben direkt oder indirekt mit der Kopfjagd zu tun, kein einziges mit dem Ackerbau. Deren Aussage steht im diametralen Gegensatz zum Zitat. Der Umgang mit dem Zitat, die Präsentation in der Vitrine mit ihrem affirmativen und ‚pädagogischen’ Narrativ, das Verschleiern der Herkunft und Ideologie der Sammlung lässt diesen Abschnitt der Dauerausstellung zur klassischen Unschuldskomödie werden.
 Fotos: Gottfried Fliedl (2009)

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